Fluchtgespräch

Ich bin hier geboren, dies ist mein Land, mein Erbe. Aus meinem Tun sind Autos, Häuser, Kleidung und Kinder erwachsen. Warum sollte ich teilen?

Deinen Reichtum, nur den – nicht dein Leben. Ich teilte mein Leben mit den Toten. Wir leben in unterschiedlichen Länder. Wir können dem Schicksal nicht entkommen. Das Land, das Ererbte, Auto, Kleidung, Kinder: Meine Ahnen erzählen mir von Raub, Diebstahl, Versklavung. Ich erkenne in euren Gesichtern wieder, was damals verloren wurde. Die Ahnen brachten euch Demokratie, Ökonomie und Kultur. Sie brachten Panzer, Raketen, Warlords und Sturmgewehre. Die Freiheit. Den Tod. Die Demokratie. Den Hunger. Die Autonomie. Den Hass. Den Lebensstandard. Die Luftverschmutzung. Die Hoffnung. Die Erniedrigung. Die Sättigung. Ihr brachtet eure überzüchteten Produkte, vermarktet unser Wasser und zerstört den Erwerb. Ihr habt euch nicht entwickelt. Ihr habt uns die Hände gebunden. Und die Füße. Und manchem den Kopf abgeschlagen. Alte Geschichten. Geschichten, die mein Leib trägt und ich habe sie jetzt zu euch getragen: Teilen wir also hier. Dies ist mein Land, mein Geschick. Ihr sprecht nicht von Negern, sondern von Farbigen. Aber die Farbigen wollt ihr nicht. Sorgt für euer Land, so wie wir für das unsrige gesorgt haben. Es gibt nichts mehr, was unsere Sorge ertragen würde. Wir bieten Barmherzigkeit. Wir wollen Teilhabe. Wir fürchten die Überforderung. Die Wutbürger sind Avantgarde für die Kaste der unberührbaren Mittelschicht. Deren Milde wird umschlagen in Abwehr und Klammheimlichkeiten. Wir haben keine Antwort. Wir haben kein Recht, weil es euer Recht ist.

„Der Paß ist der edelste Teil von einem Menschen. Er kommt auch nicht auf so einfache Weise zustand wie ein Mensch. Ein Mensch kann überall zustande kommen, auf die leichtsinnigste Art und ohne gescheiten Grund, aber ein Paß niemals. Dafür wird er auch anerkannt, wenn er gut ist, während ein Mensch noch so gut sein kann und doch nicht anerkannt wird.“ (aus:  B. Brecht „Flüchtlingsgespräche“, Frankfurt a.M. 1961)