Großbritannien sei kein Einwanderungsland. Frankreich drohe die Selbstzerstörung auf dem Altar der Nachbarschaftsliebe. Australien wolle sich kein Fremdenprobleme an den Hals holen. Dem eigenen Land würde großes Leid zugefügt, wenn die Juden kämen.
So und ähnlich tauschten sich vor 80 Jahren am Genfer See Politiker und Beamte aus. Es ging in Evian um das Schicksal der verfolgten europäischen Juden. Längst war klar geworden, dass die 7 Millionen Juden, die außerhalb der USA lebten, vogelfrei wurden. Die Represssalien in Deutschland waren schon seit Jahren unerträglich, der Antisemitismus in Polen forderte Opfer, in Ungarn hetzten Nationalisten. Viele Juden saßen in Transitländern fest. Niemand wollte sie aufnehmen.
Golda Meir, spätere Ministerpräsidentin Israels, war Beobachterin der nutzlosen Beteuerungen und Abwehrreden. Sie schrieb: „Dazusitzen, in diesem wunderbaren Saal, zuzuhören, wie die Vertreter von 32 Staaten nacheinander aufstanden und erklärten, wie furchtbar gern sie eine größere Anzahl Flüchtlinge aufnehmen würden und wie schrecklich leid es ihnen tue, dass sie leider nichts tun könnten, war eine erschütternde Erfahrung“
Die Argumente damals waren fast genau die von heute: Demografische Präferenzen, Fremdenangst, Differenzen unter den Staaten, Wirtschaftsnationalismus. Man fürchtete in Vorausahnung des Krieges bereits die verarmten Juden aus Polen. Natürlich gibt es einen Unterschied zu damals: Die Staaten sind ungleich reicher geworden und haben ihren Reichtum durch Kriege, Klimaveränderungen und ungerechte Handelsregeln dort erreicht, von wo heute die Flüchtlinge aufbrechen.
„Wisst ihr denn nicht, dass diese verdammten Zahlen menschliche Wesen sind?“ (Golda Meir)
Claus Leggewie schreibt in der ZEIT vom 21.6.2018 unter der Überschrift „Keiner will sie – Wer nimmt die deutschen Juden auf? Vor 80 Jahren traf sich die westliche Staatenwelt in Evian, um diese Frage zu klären.“