Ahnung von Jasmintee, Duftreis, Nori-Algen. Dieser Riesling zeigt sich von der feinen Seite, er steckt voller verschleierter Anspielungen, 3D-Animation im Schieferbreitwandformat. Erotik pur. Balsamische Note, speckige Frucht, salzige Gischt, im Finale sehr differenziert und enorm lang.
Stein hoch drei, ein Gigant, ganz großes Kino, eiskalte Kalkextrakte. – Ein Wein, der kraftvoll und selbstsicher auftritt, eine mutige Inszenierung, bizarr und traumhaft schön. – Ein Riesling, der eine souveräne Position bezieht. – Ein Katarakt aus Blütenduft. – Lakritz, Anis und Estragon, sogar Teer und Gummi. Er hallt bis in die hinteren Winkel der sinnlichen Wahrnehmung. – Straffer und athletischer Körper. – Sehr aktiv und verspielt, enorme Länge.-Knusprige Säurereflexe kitzeln erst die Nase und splittern dann krachend am Gaumen. – Brachiale Schieferpotenz, Stufen, die ins Himmelreich führen. – Ein langes, tiefes Rauschen, ein mitreißender Strudel. – Kristalline Säure umflirrt das Geschmacksgeschehen. – Herzzerreißend.
Diese und noch mehr Weinbeschreibungen haben sich Lange und Lange* aus dem Hirn geschlürft (alles in einem Artikel!). Wenn man das alles liest, möchte man keinen Riesling mehr trinken. Aber es kommt noch besser. Auf Seite 16 beginnt ein Portrait des Dreisterne-Kochs Christian Bau.
„Er begann Yuzu kostenweise aus Japan zu bestellen, und auch alle anderen japanischen Zitrusfrüchte fanden bald den Weg in seine Küche…Nach und nach ersetzte Dashi die klassischen Fonds und Shiso die traditionelle Vinaigrette, das Rindfleisch kam aus Kobe, und Hamachi wurde eigens vom Tokioter Fischmarkt Tsukiji an die Mosel geflogen…“ – „In jeder freien Minute ist Bau auf Reisen, um in den besten Restaurants des Erdballs zu essen, weit mehr als 80 Drei-Sterne-Häuser hat er schon besucht.“ – „Der Kürbis aus Hokkaido mit Sot-l`y-laisse, Gnocchi und Alba-Trüffel, die Jakobsmuscheln mit Karasumi, Koji und Fischeier, die Kaviartartelette mit Balik-Lachs und Myoga.“ – „Zwei Hamachi-Stücke stammen aus dem Linksschnitt des Filets und liegen links der Aromastraße, ein Stück aus dem Rechtsschnitt, das selbstverständlich rechts liegt – ein Detail, das wahrscheinlich einer von 10.000 Gästen bemerkt, dessen Missachtung aber dem Chef geradezu physische Schmerz bereitet.“
So zu speisen, z.B. Sylvester 2020, kostet 625 € (pro Person, nicht pro Familie). Gibt es sinnfälligere Gründe für eine Veränderung des Kapitalismus? Und was sagt der Meisterkoch, der seine engen Kindheitsverhältnisse beklagt: „Deutschland hat eine Neidhammelkultur, die Spitzenküche wird unter Generaldekadenzverdacht gestellt.“
Na, da würgen wir doch unseren Balik-Lachs samt Myoga wieder aus – mit physischem Schmerz.
*Frankfurter Allgemeine Magazin November 2020