Die Rolle Gottes übernehmen zunehmend Fußballer. Oder Wissenschaftler. Oder Päpste. Oder Pop-Stars. Oder Piloten.
Seitdem wir immer selbstständiger werden, uns lösen von den Notwendigkeiten funktionierender Nachbarschaften, langjähriger Arbeitsplatzbeziehungen, ewiger Eheversprechen – seitdem verzichten wir auf die Konstanz und freuen uns über das Alles-Mögliche zu allen Zeiten mit allen Menschen. Der manifeste Kompass einer transzendenten Beziehung wird aufgegeben zugunsten der Pendel- und Suchbewegungen, dem Irrlichtern im Unverbindlichen. Wir imitieren religiöse Gesten und glauben uns durch das Segnen auf Rollrasen im Fußballhimmel. In Wirklichkeit entfernen wir uns, die Imitation macht uns zu Fremdlingen.
Wir lassen Traditionen nur noch an uns heran, wenn sie möglichst weit weg von unseren schädigenden Alltagserfahrungen sind und als Tao oder Buddhismus oder Ommm die Schwelle unserer Transzendenz zu streifen vermögen. Die Sakramentenverwalter sorgen mit ihrer leutseligen Starre für den Rest.
Wir werden wie Gott. Jeder für sich. Und ohne alle. Und alles möglich. Wir unterwerfen uns nicht mehr der Nähe ewiger Distanz.
Als der Pilot seine Germanwings in scheinbarer Ruhe in die Alpen schickte, da war er für einen Moment Gott. Er setzte sich über alles. Und er war Mensch, der sich gleichzeitig allem aussetzte. Ohne Maß. Es muss ein monströse Gefühl gewesen sein, eine Gigantik der Abstumpfung. Es musste groß sein – da Gott. Und es war individuell – da Mensch.
In der TAZ schrieb Bettina Gaus: „Die Angst vor dem ewigen Höllenfeuer kann Wunder wirken. Und so wahr es ist, dass selbst diese Angst den Freitod nicht verhindern kann, wenn die Verzweiflung nur groß genug ist, so wahr ist auch: Man will im Hinblick auf die Ewigkeit wenigstens nicht noch zusätzliche Schuld auf sich laden. Wenn überhaupt, dann bringt man doch lieber nur sich selbst um, als dass man weitere Leute mit in den Tod reißt. Im säkularen Gemeinwesen, in denen weder der Pastor noch sonst jemand eine absolute Autorität für sich beanspruchen kann, verliert das Höllenfeuer seinen Schrecken. Zugleich wächst – in Ermangelung transzendenter Glaubwürdigkeit – das Bedürfnis nach Helden, deren zumindest weltliche Integrität nicht infrage zu stellen ist.“